Der Golem, wie er durch die Welt reist: Venedig - Moskau

 

    Die Biennale geht zu Ende - Sonntag den 23.11.2008 inspiriert zum letzten Mal die diesjŠhrige Architekturbiennale in Venedig.

 

    Das Gesamtkunstwerk Venedig ist immer eine Reise wert. Die richtige WŸrze dazu bietet der Besuch der Biennale di Venezia, denn das erst setzt zur Vergangenheit jŠhrlich einen neuen interessanten Kontrapunkt in der Gegenwart.

    NŠchtes Jahr wird die Biennale mit der Sektion der zeitgenšssischen Kunst vom 7. Juni bis 22. November einladen. Der in Frankfurt/Main arbeitende und lebende Kurator Daniel Birnbaum hat dazu nun sein Thema veršffentlicht: Making Worlds. Ungewšhnlich wird dabei sein, - bestimmt unter Vielem Anderen - dass er nicht nur fertige Kunstwerke prŠsentieren will, sondern die Arbeitsprozesse selbst. Kann sein, dass Sie dabei in der Hochsaison ein wenig drŠngeln mŸssen, um diese Prozesse hautnah zu erleben. Denn im letzten Jahr hatte die Kunstbiennale 319.332 Besucher.

    Und auch die diesjŠhrige nur drei Monate wŠhrende Biennale der Sektion Architektur konnte bereits Ÿber 100.000 Besucher verzeichnen. Da ist es gar keine so schlechte Idee, die Nachsaison zu wŠhlen, und dafŸr jetzt das Schlie§en der Pforten minutengenau zu erleben und dabei zu versuchen, der letzte Besucher zu werden, der das GelŠnde verlŠ§t. Denn mit dem Motto "Out There: Architecture Beyond Building" hat der diesjŠhrige Kurator Aaron Betsky nicht nur in seinem kuratierten Bereich, sondern auch in den LŠnderpavillions der Giardini eine Ausstellung angeregt, deren Gedanken sinnlich zu erwandern lohnt. Was ist Architektur jenseits dessen, was auf den ersten Blick Architekur ist?

    Im italienischen Pavillion wartet die von Emiliano Gandolfi kuratierte internationale Ausstellung zu "Experimental Architecture" gleich mit Grš§e auf - das Highlight ist im an sich verwinkelten Labyrinth dieses GebŠudes nicht zu Ÿbersehen, da es gleich gegenŸber dem Eingang zu finden ist: Eine Installation der Architekten Herzog & De Meuron (die jeder Fu§ballfan fŸr ihre Allianz-Arena in MŸnchen kennen dŸrfte) zusammen mit Ai Weiwei, dessen hierzulande bekanntestes Werk der 1001StŸhle der Documenta 12 in diesem Fall lange FŸ§e bekommen hat. In seinem Mikado erinnert die Installation auch an die Gemeinschaftsarbeit dieses Teams bei ihrem bisher wohl weltweit bekanntestem Projekt: das "Vogelnest"-Olympiastadium in Peking.

    Interessante Spannung bildet dazu im offenen Vorraum die Tapete des deutschen JŸrgen Mayer H. - und deren halluzinogene Wirkung.

   Jenseits uns bekannter Namen sind die heimlichen Highlights der Giardini die so klar strukturierten wie gedanklich vielschichtigen und vor allem sinnlich extrem starken Ausstellungen des belgischen und der russischen Pavillions.

   Ganz nebenbei und gleichzeitig erfassbarer als in vielen anderen PrŠsentationen sind im russischen Pavilion auch die architektonischen GebŠude selbst. Denn das Besondere liegt hier auch jenseits der offensichtlichen Architektur. Schach war schon immer ein SpezialitŠt der Russen.

   Das Spiel um die Macht bekommt in diesem Zusammenhang hinsichtlich Stadtplanung und der Frage, welches GebŠude welches schlŠgt, ganz neue (amŸsante) Dimensionen. Das dem sehr Archaisches zugrundeliegt wird nicht nur beim eigenen Nachdenken deutlich, sondern ganz physisch, sobald man dann das Untergescho§ betritt. Hier bekommt die russische Unterwelt eine ganz neue Konnotation.

 

    Wer hŠtte gedacht, dass die russische Unterwelt der Ort ist, den man freiwillig kaum mehr verlassen mšchte?

    AtmosphŠrisch prŠsentiert die archaischen, kunstfertigen und inspirierend freien Machwerke, die nicht nur zeitgemŠ§ klimaneutral sind, sondern mit einer gro§en Portion Spa§ faszinieren.

    So wohl fŸhlt man sich sonst wohl nur noch in der Zen-Oase des belgischen Pavilions. Dessen Ausschreibung "1907-After the Party" ist hier mit gro§em Stilwillen bis aufs Extremste reduziert und mit Millionen kleiner humorvoller Pointen, Verzeihung Punkte, sehr eigen umgesetzt. Er lŠdt geradezu zum meditieren ein. Also statt teuerer Japanreise vielleicht doch lieber ein Wochenende in Venedig - fŸr das der Wetterbericht zum Wochende sogar Sonne angesagt hat.

    Ganz egal wie das Wetter ist, sollten Sie beim Betreten des Arsenale auf gar keinen Fall Ihre Garderobe abgeben, au§er Sie wollen nur ins Cafe oder in die Buchhandlung mit ihren durchaus sehenswerten WŠlzern, wenn Sie z.B. die Texte der Kuratoren in den Katalogen lesen wollen, weil Sie so spŠt am Tag eintreffen, dass es sich zeitlich fŸr einen Besuch der Giardini oder des Arsenale nicht mehr lohnt. Denn ihr Ticket gilt jeweils nur fŸr einen einmaligen Eintritt. Das GelŠnde ist riesig, und nach dem langen L-fšrmigen GebŠude zieht sich die Ausstellung noch eine halbe Ewigkeit - inzwischen bis zum neuen Arsenale, in dem dieses Jahr die "Nature above Architecture" zu einer Erholungspause einlŠdt. Daher der Tipp zunŠchst mit dem Durchwandern des GebŠudes zu beginnen, und beim Knick erstmal  einen Spaziergang an der frischen Luft bis ans letzte Ende zu machen, und das noch bei Tageslicht, um sich dann bei wechslenden LichtverhŠltnissen langsam wieder von Ausstellung zu Ausstellung zurŸckzuarbeiten. Ihre Garderobe brauchen sie dabei nicht nur fŸr die lange Aussenpassage, sondern unbedingt auch im GebŠude selbst, der selbst im Sommer ein dunkler und kalter Riesenkeller ist. Der Charme dieser Fabrikruine liegt dann im Visuellen - vor allem auch im Kontrast zu den Exponaten.

    Absolut sehenswert ist hier diesmal vor allem die Installation von Frank Gehry (und Partnern). Ganz fŸr sich. Und in ihren Kontexten. Seine Bauten erinnern zunehmend an die Architektur des deutschen expressionistischen Films vor dem dritten Reich, und wenn er hier eine Vorstudie fŸr ein Hochhaus in Moskau mit in mehrfacher Hinsicht gebrochenen LehmwŠnden prŠsentiert, eršffnet sich ein RŸckbezug auf seine jŸdischen Wurzeln, der die Zukunft eršffnet.

    Mit der jŸdischen Legende des Golem, der aus Ton geschaffen ward, um dem jŸdischen Volk zu helfen, erinnert die Installation auch direkt an die expressionistischen Film-Klassiker von Paul Wegener: "Der Golem" von 1914, "Der Golem und die TŠnzerin" von 1917 und "Der Golem, wie er in die Welt kam" von 1920.

    Zur historischen Abrundung der Architektur-Biennale, wie auch fŸr die, die dieses Wochende doch nicht nach Vendig fahren, empfiehlt sich also der Genu§ dieser Stummfilme - natŸrlich idealerweise in Ihrem nŠchsten Filmmuseum in der orgiginalen Intention der Filmemacher zusammen mit Livemusik-Begleitung. Doch selbst stumm lohnt sich ganz besonders der "Der Golem, wie er in die Welt kam" mit seiner expliziten Reise in die expressionistische Architektur. Neben "Metropolis" von Fritz Lang - mit dem Sie Ihre historische Architekturausstellung dann abrunden kšnnen - war der Film einer der grš§ten internationalen Erfolge des deutschen Stummfilms. Der Architekt Hans Pšlzig baute damals auf dem Ufa-GelŠnde eine verwinkelte Stadt, die zum Synonym fŸr expressionistische plastische Filmarchitektur wurde.

    "Es ist nicht Prag, was mein Freund, der Architekt Poelzig, aufgebaut hat. Sondern es ist eine Stadt-Dichtung, ein Traum, eine architektonische Paraphrase zum dem Thema Golem. Die Gassen und PlŠtze sollen an nichts Wirkliches erinnern, sie sollen die AtmosphŠre schaffen, in der der Golem atmet." (Paul Wegener, zitiert nach: Verleihkatalog Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin)

Jetzt atmet der Golem in Venedig, demnŠchst in Moskau.

    Es sieht so aus, dass es nach der Bezeichnung des babylonischen Talmud stimmt, dass der Golem eine Frau ist, die noch keine Kinder geboren hat.

    ©Kirsten Lilli - Bild, Konzept und Text  -> http://www.kirsten-lilli.de/